Manchmal ist man hier wirklich zwischen zwei verschiedenen Welten. Es gibt viele Dinge, die wirklich gut funktionieren. Der Philothea Klub, in dem ich hauptsächlich arbeite ist ein gut funktionierender Jugendklub. Die meisten Aktionen gelingen hier und es gibt eine funktionierende Struktur. Dann erlebe ich aber auch immer wieder Situationen, in denen ich merke, dass sich hier echt auch noch viele Dinge entwickeln müssen:
"Ein bisschen aufgeregt war ich schon, als ich mich heute
Morgen auf den Weg ins CE Haus machte.
Das CE Haus (Diakonie) ist quasi die Zentrale des Dorcas Kinderheims und
des Philothea Klubs. Doch bevor ich eben dort ankommen sollte, verlief ich mich
erst mal gründlich. Eine Stunde zu spät kam ich an und traf Kati, die Leiterin des
„Hannah-Projektes“. „Hannah“ das steht für „Hope and nurture, nurture and
hope“. Das Projekt gibt es erst seit ein paar Jahren. Kati geht zwei Mal die
Woche in eine Art Kinderheim. Hier leben 35 Kinder, deren Eltern mit Tuberkulose infiziert waren. Die Kinder
sprechen rumänisch, die meisten sind Roma Kinder und kommen aus armen Familien.
Zwei Stunden später öffne ich die Tür zu einem alten
Gebäude. Es sieht wie alles aus, aber nicht wie ein Haus, indem Kinder leben
sollten. Die Arme voller Spielsachen gehe ich das Treppenhaus hoch. Es sieht
aus, wie in einem Film. Die einst grüne Farbe blättert von der Wand ab, das
Geländer ist wackelig. Es riecht streng. Im ersten Geschoss
angekommen, hält Kati mir die Tür auf und wir treten in einen Korridor, wie man
sie aus Krankenhäusern kennt.
Eine nette ältere Dame begrüßt uns auf Ungarisch. Wir unterhalten
uns ein bisschen mit ihr. Sie erzählt davon, wie schrecklich die Zeit für die
Kinder ist, wenn Ferien sind und davon, dass es schon wieder bürokratische
Probleme gibt. Es sei ein Kind aufgetaucht, das genau den gleichen Namen und
das gleiche Geburtsdatum hat, wie eines, das hier in dem Haus lebt. Irgendwann
schalte ich ab, weil mein ungarisch nicht mehr ausreicht um dem Gespräch zu
folgen. Mein Blick wandert nach links. Sechs offen stehende Türen, es erinnert
mich an eine Kinderstation im Krankenhaus, nur, dass hier die Wände komplett weiß sind
und der Putz abbröckelt. Ich sehe keine Bilder oder Fotos.
Mit einem lauten Knall wird auf der anderen Seite des Flurs eine Tür aufgestoßen: Durch den Spalt sehe ich die Kinder. Sie alle stehen hinter
einer Leiterin, die im Türrahmen steht. Einige versuchen sich an ihr vorbei zu
quetschen, aber ihr Vorhaben misslingt. Mit unseren Kartons machen wir uns auf
den Weg in den Raum, der sich als Essens- und Aufenthaltsraum herausstellt. Als
wir uns der Tür nähern, sehe ich immer mehr Kinderaugen, die alle auf uns und
die Kartons gerichtet sind. Wir treten
ein und sofort sind wir von einer Horde Kindern umgeben. Sie sehen nett aus. Die meisten tragen Jogginghosen und Socken, die
Klamotten sind dreckig und sehen gebraucht aus. Ein paar tragen Hausschuhe.
Viele Mädchen haben Flechtfrisuren, die Jungs kurz rasierte Haare. Die Kinder haben gute Laune, die meisten lachen oder schauen uns
interessiert an, die meisten Blicke sind nun auf mich gerichtet. Auf ein
Zeichen von Kati setzten sich alle auf ihre Stühle. Zu sehr gespannt sind sie
auf das heutige Programm. Der Raum sieht schöner aus, als der Flur und das
Treppenhaus. Er ist orange gestrichen und eine Figur aus Winni Pooh
ist mehr schlecht als recht an die Wand gemalt worden. In dem Raum stehen ein paar Tische und viele
unterschiedlich große Kinderstühle. Kati fragt wie es den Kindern geht und
stellt mich vor. Wir bilden einen Stuhlkreis. Sofort kommt
ein kleines Mädchen angelaufen und bietet mir ihren Stuhl an. Sie scheint noch
sehr jung zu sein, hat ein süßes Puppengesicht und kurze, braune zerzauste
Haare. Sie trägt mehrere Pullover übereinander und eine schwarze zu kleine
Jogginghose. An den Füßen trägt sie Socken, die vor lauter Dreck nicht mehr
weiß sind und grüne Badelatschen. Ich setze mich auf den Kinderstuhl und sofort
springt sie auf meinen Schoß und kuschelt sich an meinen Arm. Von links und
rechts rutschen ebenfalls Kinder an mich heran und hängen sich an meine Arme
oder streicheln meine Haare. Im Stuhlkreis
fordert Kati die Kinder auf mir alle ihre Namen zu sagen. Obwohl einige vor ein
paar Minuten noch freudig am herumschreien waren, sind viele nun zu schüchtern
sich vorzustellen
Kati beginnt die Stunde: sie erzählt die Geschichte von Noah und der Arche und
verdeutlicht dies alles mit Bildern von Figuren, Tieren, Bäumen und dem Schiff.
Die meisten Kinder hören gespannt zu und sind völlig fasziniert als Kati
erzählt wie groß und breit das Schiff von Noah war. Als Kati die Geschichte
beendet und sich der großen Kiste zuwendet, um ein neues Spiel zu suchen,
laufen die Kinder zu der Leinwand, an der Kati zuvor die Figuren befestigt
hatte. Sie reißen die Figuren ab, um sie sich anzugucken. Daraufhin dreht Kati
sich um und fragt, wer die Figuren abgerissen hat. Zu meinem Erstaunen gestehen
jene Kinder und entschuldigen sich, ohne dass Kati sie noch einmal auffordern
oder ihnen gar drohen musste. Als "Strafe" müssen sie die eben erzählte Geschichte
wiederholen, was sie nach ein paar schüchternen Anläufen auch bewältigen. Wir
spielen ein Spiel bei dem die Kinder Tiergeräusche nachahmen sollen um den
Partner mit dem gleichen Tierkärtchen zu finden, dies klappt ganz gut, auch
wenn manche nicht wissen, welches Geräusch ihr Tier macht. Das Spiel macht den
Kindern Spaß und später im Stuhlkreis klammern sich alle an die Tierkärtchen,
die sie nun ihr Eigentum nennen dürfen. Danach kommt der Höhepunkt der Stunde.
In jeder Stunde haben die Kinder die Möglichkeit eine Papierblume zu erwerben.
Diese können sie bekommen, wenn sie sich in der Stunde gut benommen haben.
Immer am Ende des Monats wird eine Art Basar veranstaltet. Hier können sich die
Kinder mit den Papierblumen etwas kaufen. Ein paar Jungs aus der Gruppe haben sich
gegenseitig ein paar Breakdance Schritte beigebracht. Diese führen sie nun
stolz vor. Kati und ich
packen die Sachen zusammen. Als wir gehen verabschieden sich die Kinder, sie
rufen Tschüss und winken. Wieder gehen wir durch das triste Treppenhaus. Zurück
im Auto habe ich ein komisches Gefühl. Ich frage mich, was die Kinder wohl
jetzt machen. Für mich ist der Arbeitstag zu Ende. Ich kann nach Hause gehen,
etwas essen, wenn ich Hunger habe, etwas lesen oder meinen Computer anschalten,
wenn mir langweilig ist, raus gehen, wenn mir danach ist. Aber die Kinder sind
weiter in diesem Haus, in den schmucklosen Räumen mit den leeren Wänden..."
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der Flur |
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das Bad |
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ein Zimmer der Älteren |
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das Zimmer der Kleineren |
Diese Situation ist mittlerweile 3 Monate her. Seitdem gehe ich einmal die Woche mit Kati in das Kinderheim und besuche die Kinder. Obwohl ich mich nicht so gut mit ihnen verständigen kann (sie sprechen rumänisch, ich lerne ungarisch), habe ich sie wirklich lieb gewonnen. Die Verhältnisse sind zwar immer noch schockierend, trotzdem hat sich schon viel getan. Ein wichtiger Punkt ist, dass die Beziehung zwischen uns Sozialarbeitern und dem Kinderheimpersonal immer besser wird. Die Frauen, die dort arbeiten sind meistens überfordert mit den vielen Kindern und verstehen aber auch nicht so richtig, was wir mit den Kindern machen. Mir war besonders wichtig, die Wände ein bisschen zu dekorieren. Im Februar haben wir mit den Kindern eine kleine Karnevalsfeier gemacht. Dabei habe ich die Kinder fotografiert und eine Woche später die Fotos ausgedruckt mitgebracht. Zusammen haben wir dann Bilderrahmen aus Eisstäbchen gebastelt und diese Bilder an die Türen der Kinder gehängt.
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beim schminken an der Karnevalsparty |
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die Kinder |
Die Arbeit mit den Kindern ist sehr anstrengend. Dadurch, dass sie nie aus dem Kinderheim raus dürfen, ist die einzige Attraktion der Woche der Besuch von Kati und mir. Dies merkt man den Kindern auch an, sobald wir reinkommen wollen sie uns erzählen, was sie machen, zeigen und Dinge, die sie gebastelt haben oder klammern sich einfach an uns. Außerdem ist es hart zu sehen, wie diese Kinder in diesem Heim aufwachsen müssen und nicht erleben können, wie die Welt "draußen" ist.
Aber mitterweile hat sich mein Standpunkt ein wenig geändert. Unüblicherweise müssen die Kinder dieses Jahr auch über Ostern nach Hause. Weil es nicht genügend Personal gibt, dass die Kinder nach Hause (meist wohnen sie in Dörfen nicht unbedingt in der Nähe von Marosvásárhely) fahren kann , haben Kati und ich manche Touren übernommen. Natürlich hatte ich schon einiges gelesen und bin auch selbst schon mal an Roma Siedlungen vorbei gelaufen, aber als ich dann die Eltern der Kinder kennen gelernt habe, begann ich die Situation der Kinder mit anderen Augen zu sehen. Auch wenn es ihnen in dem Kinderheim wirklich nicht gut geht und sie in ihren Möglichkeiten und in ihrer Entwicklung eingeschränkt sind, geht es ihnen dennoch besser, als ihren Eltern.
Trotzdem werde ich weiterhin auch versuchen, so viele kleine Dinge wie möglich im Kinderheim zu verbessern.
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Hier leben zum Beispiel die Eltern von 3 Kindern, die im Kinderheim wohnen. So wohnen zu fünft (mit Säugling) in der vorderen Hütte. Gegenüber steht ein Plumpsklo. |
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