Interview mit der
älteren Generation
Allerdings ist es
immer interessanter sich persönliche Geschichten und
Einzelschicksale anzuhören. Angeleitet von meiner Organisation
Eirene, führte ich 4 Interviews. Ich unterhielt mich mit 3 Personen
der älteren Generation und einer Person der jüngeren Generation
über ihre Erinnerungen an den Kommunismus.
Vor dem Interview
mit der älteren Generation war mir ein bisschen mulmig zu mute.
Erstens kannte ich die Leute nicht, meine Mitbewohnerin hatte mir den
Kontakt hergestellt und zweitens war ich mir sehr unsicher wie die
Menschen reagieren würden. Hatten sie die Zeit überhaupt schon
verarbeitet? Bin ich nicht viel zu dreist, sie so direkt zu fragen?
Wie stelle ich die fragen so, ohne naiv zu wirken?
Vor mir sitzen 2
ältere Damen (Jahrgang 1951 und 1952) und ein älterer Herr
(Jahrgang 1946). Die Stimmung ist ein bisschen angspannt, ich merke,
dass die drei auch etwas aufgeregt sind. Doch dann setzten wir uns,
die Dolmetscherin kommt herein und die Atmosphäre lockert sich. Nach einem kurzen
Gespräch beginne ich mit der ersten Frage:
Wie war der
Alltag zur Zeit des Kommunismus in Rumänien?
Die erste Frau
beginnt zu erzählen. Sie arbeitete in einer Buchhandlung und
bezeichnet ihr Leben damals im nachhinein als langweilig. Sie wäre
nur zur Arbeit und wieder zurück gegangen. Dann erzählt sie von der
Lebensmittelbeschaffung. Früh morgens mussten sie damals aufstehen,
um mit den Lebensmittelmarken bei den Geschäften etwas zu Essen zu
ergattern. Während sie gemeinsam mit anderen Frauen in den Schlangen
wartete, seien ihnen die Hände fast geforen. Und obwohl sie um halb
5 aufgestanden seien, sei oft einfach nichts mehr zu Essen vorhanden
gewesen. Im übrigen hätte es nicht nur für die Lebensmittel Marken
gegeben, sondern auch für das Bezin. Wenn es mal Öl gegeben hätte, hätte
man es eingefroren und zusammen mit Brot an besonderen Tagen
gegessen. Besonders hart sei es in den Wintermonaten gewesen. Weil es
kein Gas vorrätig gab, war es immer kalt in den Häusern. Wenn die
Kinder ihre Hausaufgaben machten, mussten sie alle paar Minuten
aufstanden, um sich zu bewegen – sonst wären ihnen wohl die Hände
eingefroren. Außerdem mussten die Hausaufgaben direkt nach der
Schule gemacht werden, weil es auch kein Licht gab. Sie erinnert sich
an eine Situation, als eine Arbeitskollegin mit einem neuen Mantel zur Arbeit kam. Alle bestaunten sie und trugen am nächsten Morgen genau
den gleichen – weil es eben nur diesen einen Mantel zu kaufen gab.
Ich fragte sie, wie sie sich gefühlt hatte. Darauf antwortet sie,
dass die Menschen die Situation einfach so hingenommen hätten, sie
hätten es ja nie anders gekannt. Außerdem hätte man sich durch das
Tauschen von Lebensmitteln geholfen. Ein Lichtblick sei immer der
Ausflug im Sommer ans schwarze Meer gewesen. Man hätte damals
einfach alles in ein Auto gepackt und irgendwo gezeltet. Heute würde
das nicht mehr gehen, da alles viel zu teuer geworden sei.
Ich richte mich mit
der gleichen Frage an den Herren. Er beginnt zu erzählen, dass er
sich eigentlich selten an die Zeit erinnert. Doch letztens hätte er
einen Bericht über Nordkorea gesehen und da sei sehr vieles in ihm
wieder hoch gekommen. Er arbeitete beim Rundfunk. Allerdings betrug
die Sendezeit nur zwei Stunden am Tag. Auch er bekam die Anweisung,
dass alle Berichte auf Elena und Nicolea Ceausescu fokusiert sein
sollten. Natürlich war es streng verboten etwas schlechtes über die
beiden zu berichten. Außerdem gab es nur 5 Minuten Kinderprogramm am
Tag und die Nachrichten waren immer durchweg positiv.
Ich fragte, ob man
den überhaupt über Politik gesprochen hätte. Alle drei verneinten,
dies sei viel zu gefährlich gewesen, man hätte immer mit Spitzeln
rechnen müssen.
Die dritte Dame
arbeitete bei der Polizei. Trotzdem bekam sie von den Aktionen der
Geheimpolizei nichts mit, dies sei alles im Geheimen abglaufen. Sie
erzählt, dass es verboten war, Informationen aus dem Ausland zu
bekommen und ins Ausland zu reisen. Sie erinnert sich an eine
Freundin von ihr, die in jungen Jahren mit ihren Eltern ausgewandert
sei und dann später zu Besuch wieder zurück nach Rumänien kam.
Obwohl die Mädchen beide noch sehr jung waren, musste die Freundin
jeden Tag einen Bericht über die Geschehnisse und Gespräche des
Tages schreiben und abliefern. Generell musste sich jeder Besuch
innerhalb von 48 Stunden bei der Polizei anmelden.
Ich fragte nach den
Kulturveranstaltungen. Sie berichtete mir, dass diese
Pflichtveranstaltungen gewesen wären. Auch Kranke und Verletzte
hätten teilnehmen müssen. Mit Gesang und Tanz sei ihnen eine heile
Welt vorgegaukelt worden.
Die drei erinnerten
sich auch noch genau an die Uniformen, die die Mädchen bei den
Veranstaltungen (und im Kindergarten und in der Schule) trugen :
blauer Rock, orangenes Hemd.
Reden sie noch
mit ihren Kindern/Enkelkindern über die Zeit? Was erzählen sie
ihnen?
Auf diese Frage
schütteln alle drei verneinend den Kopf und erzählen, dass ihre
Kinder nicht in Rumänien seien. Außerdem wollten sie sie nicht
langweilen. Heute hätten die Leute alle 3 Autos und könnten sich
gar nicht mehr in diese Zeit hineinversetzen. Der Kommunismus sei
kein Alltagsthema mehr. Auch würde man sich ein bisschen für diese
Zeit schämen. Man hätte gar keine Zeit mehr darüber zu sprechen:
„Wir leben jetzt in einer anderen Welt, wir bekommen jetzt mehr
mit, jetzt sprechen wir über die Korruption“.
Wurde und wird
die kommunistische Vergangenheit Rumäniens genügend aufgearbeitet?
Wieder verneinen
alle. Sie sagen, die aktuellen Politiker seien noch dieselben wie
früher, man würde einfach weiterschweigen. Wir schweifen ab:
manchmal hätten sie die Lieder ( beispielsweise von den
Kultuveranstaltungen) von früher noch im Ohr. Es sei verboten
gewesen nach fünf Uhr noch draußen unterwegs zu sein. Die Regierung
sah vor, dass die Schüler um diese Zeit lernten. Außerdem
erzählen die drei in Marosvásárhely (Targu Mures) hätte es damals
nur 10 % Rumänen gegeben und die hätten alle ungarisch gesprochen.
Würden Sie
sagen, dass es den Menschen heute besser geht als unter Nicolea
Ceausescu?
Hier in Transsilvanien (Siebenbürgen) hätte sich viel entwickelt. Aber in Moldau hätte sich nicht so viel getan. Da seien die Menschen noch genauso wie früher. Früher sei die Mittelschicht am größten gewesen, heute existiere sie fast gar nicht mehr. Früher hätten alle Arbeit gehabt, auch wenn diese manchmal sinnlos gewesen wäre. Sie sagten, sie hätten sich sicherer gefühlt, die Menschen hätten durch die Abschottung keine Angst gehabt. Heute gäbe es viele schlechte Menschen. Campen zum Beispiel sei nicht mehr möglich.
Ich fragte sie nach
der Reaktion auf den Tod Ceausescus. „Sehr gut“ war die
einstimmige Antwort. Es sei aber alles sehr schnell und sehr
plötzlich passiert. Erst viel später sei Zeit für eine Analyse und
Reflektion gewesen. Man hätte keine Zeit gehabt sich Gedanken über
die Zukunft zu machen oder gar Angst zu haben.
Was bewirkte die
Mitgliedschaft Rumäniens in der EU?
Im Großen und Ganzen würde sie diese froh machen. Viele Menschen würden gehen und
kämen mit Autos und viel Geld zurück. Egal, ob sie vorher eine
Schule besucht hatten oder nicht. Sie fühlten sich freier, dadurch
dass es keine Grenzen mehr gäbe, hätte man immer die Möglichkeit zu
„fliehen“. Trotzdem gäbe es mehr Armut und eine kleinere
Mittelschicht. Für einige Menschen sei diese Entwicklung sicherlich
positiv. „Heute sind wir alle fett, weil es so viel Essen gibt“ -
Außerdem bekäme man so viele Informationen aus dem Ausland mit,
dass man gar nicht wüsste, mit was man sich zuerst beschäftigen
sollte. Die EU würde viel Geld schicken, mit dem auch gute Ideen
angefangen würden, die dann aber leider auf der Strecke bleiben
würden. Ein Teil würde hier hin verschwinden, ein anderer Teil
dahin, bis am Ende nichts mehr da wäre. Mit dem Satz „aber heute
schlafen wir alle wieder gut“ wurde das Interview beendet.
Ich bin sehr
dankbar, dass ich die Möglichkeit für dieses Interview hatte. Es
war sehr interessant und gleichzeitig emotional. Man merkte ihnen an,
dass das Thema Kommunismus kein Alltagsthema mehr ist. Dies
realisierte ich auch, weil der Name Ceausescu kein einziges Mal
genannt wurde -diesen haben sie bewusst vermieden.
Interview mit der
jüngeren Generation
Das Interview mit
der jüngeren Generation führte ich mit meiner Arbeitskollegin, zu
der ich einen guten Draht habe. Sie ist 1989 geboren und erzählte,
dass ihre Großeltern noch sehr viel von sich aus über die Zeit
sprechen würden. Die Großeltern würden davon erzählen, dass sie
sie als Baby immer mit zum Supermarkt genommen hätten und gemeinsam
mit ihr in der Schlange gestanden hätten. Einmal hätte sie
Schokolade geschenkt bekommen, was eine wirkliche Besonderheit
gewesen wäre. Doch als sich herausstellte, dass sie die Schokolade
gar nicht mochte, sagten ihre Eltern, sie solle sich die Schokolade
trotzdem ins Gesicht schmieren, damit alle sehen, dass sie sich
Schokolade leisten könnten. Auch Bananen und Kiwis seien eine echte
Seltenheit gewesen.
Dadurch, dass ihre
Mutter in einer Brotfabrik gearbeitet hätte, hätte es ihnen ganz
gut gegangen, weil sie so immer etwas zum tauschen gehabt hätten.
Sie erzählte, dass viele Menschen sogar relativ viel Geld gehabt
hätten, aber es keine Möglichkeiten gab, es auszugeben. Ein
prägendes Ereignis sei ihre erste Jeans gewesen. Außerdem erinnert
sie sich an die Ausschreitungen des „schwarzen März“. (Nach dem
Fall des Regimes wurde Targu Mures fast zu gleichen Anteilen auf
Ungarn und Rumänen verteilt. Es kam zu großen Ausschreitungen mit
über 300 Verletzten.)
Ich fragte sie, ob
der Kommunismus denn in den Schulen thematisiert wird. Es stünde
zwar für die 8. und 12. Klasse im Lehrplan, aber wie auch in
Deutschland käme es da ganz auf den Lehrer an. Es gäbe auch
Menschen, die sich den Kommunismus zurückwünschen würden. Diese
wollten sich einfach nicht an die Entwicklung anpassen und lieber das
einfache Leben zurück.
Auch sie freut sich
über Rumäniens Beitritt zur EU, auch wenn sie meint, dass man im
Alltag wenig davon merkt. Es gäbe zwar neue Gesetzte, diese stünden
aber meist nur auf dem Papier und würden nur selten auch ausgeführt
werden. Auch sie erwähnte, dass es mehr Geld für Projekte gäbe und
reisen sehr viel einfacherer geworden wäre. Ich fragte sie, ob sie
sich wie eine EU- Bürgerin fühlen würde. Darauf antwortete sie,
dass es für sie sowieso schwierig sei sich einzuordnen, da sie aus einer Szekler
Familie kommt, in Ungarn geboren ist, aber in Rumänien lebt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen